BOMBAY.
Am Tag nach den Bombenanschlägen auf sieben Vorortezüge versuchte die Millionenmetropole
Bombay (seit 1995 offiziell Mumbai), am Mittwoch wieder zur Normalität zurückzukehren.
Die Zahl der Opfer stieg aber: Laut Polizei starben 183 Menschen, 714 wurden
verletzt.
Die
Polizei glaubt, dass nur eine große Terrorgruppe Urheber sein kann; mit konkreten
Verdächtigungen hielt man sich aber zurück.
Zwei
islamistische Banden, die von den Medien ins Visier genommen worden waren,
dementierten jede Beteiligung: Ein Sprecher der "Lashkar-e-Toiba" (Armee
der Reinen), die für die Unabhängigkeit Kaschmirs kämpft, verurteilte die
Tat als "feigen Akt von Feinden der Menschheit". Auch die zweite große Moslem-Widerstandsgruppe
in Kaschmir, die "Hezb-ul-Mujaheddin" (Partei der Gotteskrieger), will nichts
damit zu tun gehabt haben.
In
Bombays Spitälern herrscht weiter Hochbetrieb. Übermüdete Ärzte operieren
Schwerverletzte, Menschen suchen nach Angehörigen. Die zerstörten Waggons
wurden bereits abgeschleppt, die Züge fahren wieder. In sieben Zügen waren
Bomben detoniert - immer in der Ersten Klasse. Eine Bombe, die bei einem
Bahnhof deponiert war, war nicht explodiert.
"Die
Situation ist wieder normal", berichtet die Journalistin Lyla Bavadam der
"Presse". "Die Züge sind voll, auf den Straßen rollt der Verkehr." Erleichtert
stellt Bavadam fest, dass es nicht zu Racheakten kam: "Die Leute versuchen
zu verstehen, aber sie sind nicht auf Rache aus. Alle fragen sich: Wer sind
diese Leute, und wie können sie so was tun?"
Indiens
Finanzherz erlebt den dritten Ausnahmezustand in einer Woche. Vorigen Mittwoch
war nach heftigem Regen der Verkehr kollabiert. Schulen und Büros blieben
geschlossen. Am Sonntag hatte es Ausschreitungen von Anhängern der radikalen
Hindupartei "Shiv Sena" gegeben. Die Randalierer reagierten damit auf die
Besudelung einer Statue der Mutter ihres Parteiführers Bal Thackeray.
Die
unerschöpfliche Geduld der Menschen in Bombay erklärt Bavadam damit, dass
die meisten unter schwierigsten Bedingungen zu überleben gelernt hätten:
"Sie sind müde. Aber das Leben muss weiter gehen. Schließlich müssen sich
die meisten ihren täglichen Lebensunterhalt hart erkämpfen."
Das
tun täglich etwa 18 Millionen Menschen im urbanen Moloch am Arabischen Meer:
ein riesiger Hafen, Indiens Börse, riesige Fabriken und prächtige Niederlassungen
internationaler Konzerne machen Bombay zum Handels- und Wirtschaftszentrum
Indiens.
Märchenhafter
Reichtum existiert aber Seite an Seite mit bitterer Armut. Mehr als die Hälfte
der Bevölkerung in Bombay lebt in Slums. Die Stadt steht auf einer Halbinsel,
in deren Süden das Finanz- und Verwaltungszentrum liegt. Die meisten wohnen
in den billigeren Vororten im Norden. Etwa sechs Millionen fahren täglich
mit den Vorortzügen, zur Arbeit ins Zentrum.
Aber
schon an normalen Tagen wundert man sich, dass die Stadt funktioniert. Überall
Dauerstaus, Stromausfälle, Lärm, Gestank. Und Massen von Menschen. Streiks
und Unruhen wie vergangenes Wochenende können die chronisch überlastete Infrastruktur
schnell zum Kollaps bringen.
Ebenso
Terroranschläge: In den vergangenen vier Jahren gab es fünf Attentate, die
meist auf öffentliche Verkehrsmittel zielten. Dutzende Menschen starben.
Viele fühlen sich durch die Tragödie vom Dienstag an den 12. März 1993 erinnert:
Da gingen an 13 Orten der City Bomben hoch und rissen 258 Menschen in den
Tod.
Indien
macht bis heute als konkreten Urheber dieser Bomben den Moslem-Gangster Dawood
Ibrahim verantwortlich, der aber im Ausland lebt. Indien beschuldigt Pakistan,
ihm Unterschlupf zu gewähren. Pakistan dementiert.
Die
Bomben vom Dienstag dürften auch die Entspannung Indien-Pakistan im Visier
gehabt haben. Wohl ohne Erfolg: Pakistans Präsident Musharraf hatte sich
beeilt, die Tat zu verdammen. Und aus Indiens Außenamt hieß es, man werde
an der Verbesserung der Beziehungen zu Pakistan festhalten.
Während
aber in Bombay hunderte Moslems demonstrativ für verletzte Hindus Blut spendeten,
gab es in Kaschmir wieder Terror: Eine Handgranate verletzte fünf indische
Touristen; die Täter dürften Moslem-Separatisten sein.
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