Andre
Alexander ist Experte für tibetische Baukunst. Und dass heißt ohne
Einsatz von moderner Technik, per Hand. Diese Fertigkeit wendet er als
Bauleiter in der Königsstadt Leh in Indien an und baut das erste
zentralasiatische Museum der Stadt.
In
der Königsstadt Leh, im hohen Norden Indiens hinter der Hauptkette des
Himalaya gelegen, kann man die tibetische Kultur noch weitgehend
unverfälscht erleben. Eine kurvenreiche Gasse führt vom Markt im
Zentrum der Stadt zu einem buddhistischen Tempel. Nicht weit davon
öffnet sich ein unscheinbares Tor, durch das man einen mit alten Bäumen
bestandenen Innenhof betritt.
"Hier
entsteht das Zentralasiatische Museum von Leh, das ist gleichzeitig das
erste Museum in Leh, eine Auftragsarbeit der Regierung für den
Bundesstaat Jammu und Kashmir. Das Museum erzählt die Geschichte
Ladakhs vor dem Hintergrund des Karawanenhandels. Ladakh war ja früher
ein Knotenpunkt auf einem Arm der Seidenstraße, und die ganze
Geschichte und Kultur Ladakhs hat sich entwickelt durch einen regen
Austausch mit Nachbarregionen. Man denkt natürlich vor allem an Tibet,
die Tibeter haben den Buddhismus, die Schriftsprache, ganz viele
Kulturelemente gebracht, aber auch aus Singhjang, Hunza, Gilgit im
heutigen Pakistan, bis hin zu Bukhara, Samarkhand. Aus all diesen
Regionen kamen doch wichtige Impulse für die ladakhische Entwicklung.
Und seit 1947, durch die Teilung Indien-Pakistan, und danach die
chinesische Besetzung Tibets sind all diese Grenzen jetzt militärische
Sperrzonen. Der Karawanenhandel ist völlig zum Erliegen gekommen. Und
um daran zu erinnern und das noch einmal aufzurollen wird jetzt dieses
Museum gebaut. Und zwar ist hier die Stelle, wo sich früher die
Karawanen niedergelassen haben. Es fließt hier ein kleines Bächlein
durch, wir sind hier umgeben von etwa einem Dutzend uralter
Weidenbäume, in deren Schatten wir sitzen. Und genau an diesem Ort, hat
man gedacht, baut man dann auch das Museum hin. Und ich hab das dann so
designed, dass wir in die Höhe gegangen sind, damit all diese Bäume
stehen bleiben und der Besucher dann nach Besuch des Museum hier, so
wie wir jetzt sitzen, sitzen kann und eine Tasse Tee trinken kann."
Der
Bauleiter ist ein hochgewachsener Mann in den besten Jahren. Er trägt
das ergraute Haar zu einem Zopf gebunden und hat häufig ein Lächeln auf
den Lippen. Andre Alexander stammt aus Deutschland und ist einer der
wenigen Experten für traditionelle tibetische Baukunst. Er entwarf den
Museumsbau nach traditionellem Vorbild.
"Also
das ganze Museum wird traditionell tibetisch-ladakhisch gebaut, das
heißt ohne Einsatz von moderner Technik. Alles wird per Hand gemacht.
Wir haben hier ein paar Steineklopfer, jeder Stein in der Außenmauer
wird per Hand behauen, hinter uns ist der Schmied, der gerade die
Werkzeuge der Steinmetze schärft, und etwas weiter weg sind die
Zimmerleute, die gerade die Säulen, Stützen und Kapitelle für die
nächste Decke anfertigen. Wir machen natürlich auch die Lehmziegel
selber hier. Das oberste Stockwerk des Museums wird in Lehmziegeln
gebaut."
Der Rohbau ist fast fertig, gerade wird das
Flachdach aufgelegt. Immer wieder erklimmen Frauen die Stiegen und
tragen frisch angerührten Lehm in großen Eisenschüsseln auf dem Kopf
nach oben. Dort wird gerade eine Wand verputzt.
"Ich
will versuchen, alle verschiedenen Komponenten der traditionellen
Architektur zu verbauen. Also zuerst Steinmauer mit Lehmmörtel, da ist
kein Kalk, nix drin, kein Zement, Holzstützen und dann das oberste
Stockwerk eben mit Lehmziegeln. Die Eröffnung ist geplant für Juli
2011, wenn seine Heiligkeit der Dalai Lama das nächste Mal
voraussichtlich Ladakh besucht, und wir hoffen sehr, das er als
Ehrengast das Museum eröffnen wird."
Teepause. Andre
Alexander und ein Dutzend Handwerker sitzen um ein Lagerfeuer,
schlürfen süßen Milchtee aus kleinen Tontassen, tauschen persönliche
Neuigkeiten aus, scherzen und lachen, planen die nächsten
Arbeitsschritte. Es fehlt an Lehm, weil ein Lieferant streikt. Ein
Zimmermann bittet um ein paar Tage Urlaub, damit er sich um seine
kranke Mutter kümmern kann. Genehmigt! Andre Alexander pflegt einen
lockeren und kollegialen Umgang mit seinen Arbeitern, das ist in Indien
eher die Ausnahme. Aber Alexander ist auch kein gewöhnlicher
Bauunternehmer.
Leh ist die Hauptstadt von Ladakh, einer
Hochwüste ganz im Norden Indiens gelegen, an den Grenzen zu China und
Pakistan. Ladakh bildet den westlichen Ausläufer der tibetischen
Hochebene. Die alte Königsstadt ist von weitem kaum auszumachen, denn
die meisten Häuser sind aus Lehm und aus dem Stein der umliegenden,
kahlen Gebirgszüge gebaut, sie verschmelzen mit ihrer Umgebung.
Andre
Alexander lädt ein zu einem Bummel durch die Altstadt. Der Palast des
ehemaligen Herrschers thront über uns wie ein graues Monster. Weiter
oben überragt ihn symbolträchtig ein weiß getünchtes buddhistisches
Kloster. Am Hang unterhalb des Palastes breiten sich die Wohnquartiere
aus. In den verwinkelten, mit großen Wackersteinen gepflasterten Gassen
fühlt man sich um Jahrhunderte zurück versetzt. An vielen Gebäuden nagt
der Zahn der Zeit. Bröckelnde Mauern und geborstene Balken verleihen
manchen Orten einen Hauch Morbidität.
"Wir
stehen hier sozusagen am Fuße des Palastes, noch ein letztes Stück Fels
vor uns, man sieht aber auch noch die höchstgelegenen Wohnhäuser und
einige der Palasttempel und Klöster, die den Palast umgeben. Der Palast
selber hat die typischen geböschten Mauern, wie man sie von
traditionellen tibetischen Gebäuden kennt, also ganz ähnlich wie der
Potala-Palast in Lhasa, nur ein klein wenig kleiner. Hier haben wir
neun Stockwerke, der Potala hat dreizehn. Es fällt auf, dass die linke
Hälfte zerfallen ist, da ist kein Dach drauf, man kann durch die
Fenster durchgucken, während die rechte Hälfte instand gesetzt ist,
überall sieht man neues Holz, die Balkone sind neu gemacht, das Dach
neu gedeckt. Der Palast wurde gebaut von König Senge Namgyal und seinem
Vater Anfang des 17. Jahrhunderts. Sehr, sehr viele Häuser in der
Altstadt stammen also auch aus dieser Zeit. Und bis in die frühen
neunziger Jahre war der Palast eine Ruine. Der Archeaological Survey of
India, also die offizielle indische Denkmalpflege kümmert sich jetzt
seit ein paar Jahren darum."
Die tibetische Architektur
sei sehr erdbebenresistent und ökologisch angepasst, schwärmt der
Architekt, doch die Gebäude bräuchten auch Pflege. Ein kleiner Schaden
im Dach könne mit der Zeit für das gesamte Gebäude bedrohlich werden:
"Wenn
die Feuchtigkeit über längere Zeit einsickert, dann fängt das Holz
irgendwo an zu faulen und kann dann brechen, weil es dann so weich und
mürbe wie Papier wird. Dann kann es also den Lehmputz wegspülen, es
kann sogar die ganze Lehmmauer auflösen, die Lehmziegel fangen an, sich
aufzulösen. Irgendwann kann sich so ein ganzes Haus einfach auflösen
und in einen Klumpen aus Lehm verwandeln, wenn es einfach zu viel
regnet. Jedes Jahr regnet es mehr, als im Vorjahr, und jedes Jahr
kommen Mönche zu uns und sagen: Wir haben Wasserschäden, könnt Ihr an
unserem Dach was machen? Das heißt, hier lässt sich für mich eindeutig
ein Klimawandel beobachten, und man muss also umdenken und sehen, wie
man diese Lehmdächer besser abdichten kann. Die vielen historischen
Wandmalereien, die Ladakh hat, die hätten nie solange gehalten, hätte
es früher schon so viel geregnet, wie jetzt."
Andre
Alexander sinniert über Mittel und Wege, die traditionellen Lehmhäuser
besser vor Wasserschäden zu schützen. Weitere Gefahren drohen. Viele
Familien bezögen heute ein modernes Haus in einem Vorort und überließen
ihr Lehmhaus in der Altstadt dem Verfall, beobachtet Alexander:
#"Wie
im Rest der Welt hat auch hier Fertigbauweise und gerade der Beton
Einzug gehalten in Ladakh. Dazu kommt, in Ladakh gibt es die höchsten
Löhne in ganz Indien für Bauarbeiten. Das hat zur Folge, dass wir sehr
viele Wanderarbeiter aus Bihar, Punjab, aber aus Nepal haben, die einem
also ein Haus für einen Bruchteil des Preises, die traditionelle
Handwerker haben wollen, hochziehen. Da muss man sich große Sorgen
machen. Wir haben beispielsweise letztes Jahr zwei junge Ladakhis als
Handwerker angestellt, die jetzt eine richtige Zimmermannslehre auf der
Baustelle machen. Alle beschäftigen lieber die Nepalesen oder Biharis,
die es um die Hälfte billiger machen, und schneller arbeiten im Akkord,
halt etwas gröber und nicht ganz so traditionell. Das ist also ein ganz
wichtiger Aspekt der Arbeit, dass wir das am Leben erhalten."
Der
wachsende Tourismus verdränge ebenfalls traditionelle Bauweisen, meint
Andre Alexander und verweist als warnendes Beispiel auf Nepals
Hauptstadt Kathmandu. Für jemanden wie ihn gibt es also genug zu tun!
Zur Zeit bemüht er sich in Gesprächen mit dem Verband der
Tourismus-Industrie, in Leh ein System für die ökologische
Zertifizierung von Hotels und Gästehäusern aufzubauen.
Wir
biegen von der Gasse ab in einen Innenhof, erklimmen eine enge
Holzstiege und erreichen dann das Flachdach eines alten Hauses. Eine
von Andre Alexanders Baustellen. Wir blicken auf eingestürzte Dächer
und bröckelnde Mauern. Ende August hatte ein Wolkenbruch über Ladakh
eine Schlamm-Lavine ausgelöst und zahlreiche Häuser schwer beschädigt.
"Also
wir sind jetzt hier auf dem Dach und hier sieht man also, dass hier
mehrere Häuser, die alle ganz eng aneinander gebaut sind, zum Teil
dieselben Mauern sich teilen, dass hier in der Mitte also alles
eingestürzt ist. Traditionell war Ackerboden eben sehr kostbar, das
heißt, die Leute haben auf sehr engem Raum ganz eng beieinander gebaut.
Und dadurch, dass eine Wand eingestürzt ist, sind natürlich gleich alle
drei betroffen. Wir haben zwei sehr gute Maurer, die sind jetzt gerade
fertig mit der Lehmmauer und verputzen jetzt diese Mauer mit der Hand,
ganz traditionell, da kommt einfach Lehmputz, der wird an die Wand
'rangeworfen. Das ist dieses Klatschen, was man hört. Und zwei Frauen
aus der Altstadt mischen ständig neuen Lehm an."
Die
Behörden genehmigten seine Projekte zwar, verhielten sich ansonsten
jedoch ziemlich lethargisch, meint Andre Alexander. Viele Bürger
dagegen würden seine Arbeit aktiv unterstützen.
"Die
Besitzer sind zu uns gekommen, gleich nach der Katastrophe, weil wir ja
hier schon etabliert sind, und dann haben sie gesagt, wenn man also das
ganze Haus und Schäden hier und da, dass man auch spätere Einstürze
verhindert, dann würden sie sich auch beteiligen mit fünfzig Prozent.
Wir haben jetzt einige Spenden bekommen nach dieser Flutkatastrophe,
das heißt wir hoffen, wir können also noch mehr leisten."
Die
Sanierungsarbeiten finanziert Andre Alexander über den Tibet Heritage
Fund, die "Stiftung für tibetisches Erbe". Die Stiftung ist in
Deutschland, Hongkong und in Indien als gemeinnützig registriert. Sie
erhält Fördergelder aus der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, von
internationalen Kulturstiftungen und privaten Spendern. Mit einem
Jahresbudget von rund einer viertel Million Euro betreut sie
Sanierungsprojekte in Tibet, China, Indien und der Mongolei. Die UNESCO
zeichnete die Arbeit des Tibet Heritage Fund zweimal mit Preisen aus.
In
den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als
Europas Jugend auf der Suche nach einem neuen Lebensgefühl die Welt
erkundete, zog es Andre Alexander nach Asien.
"Also
die Geschichte hat angefangen vor vielen Jahren in Lhasa, als ich als
Student das erste Mal in Lhasa war. Ich bin durch ganz Asien gereist,
ich war in Japan, China, und bin dann auch nach Tibet gekommen und hab
mich sofort verliebt in Lhasa und Tibet und die Tibeter, das sind die
wunderbarsten Menschen, und ganz faszinierende Tempel, und die Altstadt
von Lhasa war unglaublich faszinierend, so wie man es nur aus
mittelalterlichen Romanen kennt. Und dann war ich doch sehr erschreckt
bei meinem nächsten Besuch war die Altstadt schon um ein ganzes Stück
geschrumpft. Und ich habe dann erfahren, dass der offizielle Plan der
chinesischen Behörden war, die ganze Altstadt abzureißen und durch
Wohnbauten aus Beton zu ersetzen. Und ich dachte, das geht doch nicht,
das kann man nicht machen. Und habe dann angefangen, ein Projekt
aufzubauen, um diese Architektur zumindest zu studieren und zu
dokumentieren, wenn man sie nicht bewahren kann."
Beim
tibetischen Bürgermeister der Stadt fand Alexander ein offenes Ohr und
erhielt die Genehmigung, ein Modellprojekt zu starten. Doch das war
leichter gesagt, als getan, denn nur wenige Handwerker beherrschten
noch die alten Techniken.
"Da hab
ich also alte Handwerker gezielt gesucht, die noch vor der chinesischen
Besetzung das Handwerk gelernt haben. Die waren dann wirklich in ihren
Siebzigern. Und ich hab ihnen gesagt, ich will das genauso machen, mit
den besten traditionellen Techniken, mit denen ihr den Potala-Palast
und den Jhokram und all diese wunderbaren Sachen gemacht habt. Und
unter deren Leitung haben die Leute zuerst gelacht, und haben gesagt,
die sind so die Rentnerband, und die können doch nicht anständig
arbeiten. Und dann haben die das wirklich hervorragend gemacht, und der
Bürgermeister kam und hat gesagt, Mensch, davon brauchen wir mehr in
Lhasa. Und dann konnten wir fünf Jahre lang restaurieren und viele
Häuser vor dem Abriss retten."
Doch dann drehte der
politische Wind und die Behörden machten Andre Alexander deutlich,
seine Bemühungen seien nicht länger erwünscht. Im Jahr 2003 kam der
Deutsche nach Leh, wo er "mit offenen Armen" empfangen wurde. In der
Hauptstadt Ladakhs hat er seitdem 12 Häuser saniert, weitere fünf
Projekte sind in Planung. Handarbeit sei eben auch sehr zeitaufwändig,
fügt er beinahe entschuldigend hinzu. Daher hält er sich den größten
Teil des Jahres in Leh auf. Dort bewohnt er mit seiner tibetischen
Partnerin ein renoviertes Haus in der Altstadt. Ein weiteres Gebäude
hat er renoviert und in ein Café umgebaut, mit dem er einen Teil seines
Lebensunterhaltes erwirtschaftet.
Andre Alexander, der als Sohn
eines Schornsteinfegers in Berlin-Kreuzberg aufwuchs, an der
Technischen Universität Architektur studierte, hat seine Wurzeln nicht
gekappt. Er unterhält eine Wohnung in Berlin, hält Gastvorlesungen an
der Technischen Universität, hat dort eine Dissertation über tibetische
Architektur eingereicht. Aber der Vergleich zu seiner Wahlheimat fällt
für die deutsche Hauptstadt nicht sonderlich schmeichelhaft aus:
"Wer
weiß, wie in Berlin die U-Bahn morgens um sieben aussieht, und was für
Gesichter man da hat, wie die Leute da dreinstarren, wenn man da
anfängt zu lachen oder Leute anzusprechen, denken die, man spinnt oder
irgendwas ist mit einem faul. Dagegen wie leicht ist es in Tibet so
einfach durch Augenkontakt, Zuzwinkern so, einen Kontakt herzustellen,
ins Gespräch zu kommen, Freundschaften zu schließen. Das hat mich hier
sehr, sehr fasziniert."
Kein Wunder also, wenn er hier auch den Lebensabend verbringen möchte:
"Also
mein Traum ist natürlich, dass ich mich irgendwann mal in Tibet in
einem Bergdorf zur Ruhe setze, da vielleicht noch ein paar Bücher
schreibe oder Zeichnungen mache. Eher als in Deutschland. Aber ich mag
auch noch Berlin, meine Eltern sind dort und ich hab dort auch noch
einige Freunde. Also ich kehre immer wieder gerne zurück nach Berlin."