Im
Bericht des Weltklimarates fand sich 2009 ein Zahlendreher: Schon 2035
könnten die Gletscher des Himalaya schmelzen - tatsächlich bezog sich
die Prognose auf 300 Jahre später. Daran, dass die Klimaerwärmung
erhebliche Auswirkungen auf die Gletscherregionen hat, lässt sich aber
nicht rütteln.
"In
dieser Nacht war das Wetter außergewöhnlich. Blitze erleuchteten den
Himmel, Donner erschütterte die Berge, und dann fing es an, heftig zu
regnen. Es regnete nicht lange, aber so stark, wie ich es noch nie
erlebt hatte."
In der kleinen Stadt Leh, der Hauptstadt
von Indiens nördlichster Provinz Ladakh, schildert der Bauer Karma
Jamyang die Ereignisse der Nacht zum 6. August diesen Jahres. Karma
Jamyang und seine Familie konnten damals nur knapp dem Tode entrinnen.
"Plötzlich barst die Haustür, Wasser und Schlamm schossen herein. Wir
gerieten in Panik. Wir wollten weg, aber wohin? Rechts und links
reißendes Wasser, Schlamm und Steine. Wir kletterten aufs Dach, wo wir
einstweilen sicher waren. Aber wir hatten Todesangst und flehten die
Götter an, uns zu retten. Später, als es hell wurde und die Flut
nachließ, nahm ich meine Kinder auf die Schultern und suchte einen Weg
durch den Schlamm zur Straße."
Karma Jamyang verlor sein
ganzes Hab und Gut, begraben unter meterhohen Schlammmassen. Der
Wolkenbruch am 6. August forderte in Leh und Umgebung fast 200
Menschenleben. Die Stromversorgung und sämtliche Telefonnetze brachen
zusammen. Viele Brücken wurden fortgerissen, die beiden einzigen
Straßenverbindungen waren mehr als eine Woche lang unpassierbar. Es
drohten Versorgungsengpässe.
Ladakh ist eine Hochwüste, 3500
Meter über dem Meer im Regenschatten des Himalaya-Gebirges gelegen.
Hier regnet es normalerweise nicht mehr als in der Sahara. Der Oberlauf
des Indus und seine Zuflüsse, gespeist von Schneefeldern und Gletschern
auf den bis zu 7500 Metern hohen Bergen, bieten die einzige ganzjährig
verfügbare Wasserquelle. Der Sturzregen im vergangenen August war also
ein außergewöhnliches Wetterereignis. Vielleicht auch eine Folge des
weltweiten Klimawandels? Nach Angaben des internationalen
Forschungsinstituts für die Himalaya-Hindukhush-Region ICIMOD in
Kathmandu, Nepal erwärmt sich das Klima in der Hochgebirgsregion
stärker als im Weltdurchschnitt. Die französische Entwicklungsagentur
GERES, die in Ladakh Sonnenkollektoren und Solarhäuser fördert, hat im
vergangenen Jahr eine umfangreiche Studie zum Klimawandel
veröffentlicht. GERES-Mitarbeiter Samten Choephel fasst die Ergebnisse
zusammen:
"Die Messdaten der
Wetterstation in Leh belegen, dass sich die Tiefsttemperatur im Winter
um ein ganzes Grad erhöht hat. Die Tageshöchsttemperaturen im Sommer
sind um fast ein halbes Grad gestiegen."
Die überwiegende
Mehrheit der befragten Dorfbewohner bestätigte diese Trends, meint
Samten Choephel. Die Befragung habe auch gezeigt, dass im Winter
weniger Schnee falle und das Wetter wärmer werde. Viele Bauern
beobachteten, dass ihre Obstbäume früher blühen, dass Zugvögel länger
bleiben, dass man heute selbst in hochgelegenen Lagen Weizen ernten
kann, wo früher nur die genügsamere Gerste wuchs. Im Wüstenklima von
Ladakh ist die Landwirtschaft vollständig auf künstliche Bewässerung
angewiesen. Früher konnten die Bauern Schmelzwasser der tieferen Lagen
nutzen, um ihre Saat im April zu bewässern. Weil jetzt in den Tälern
erheblich weniger Schnee fällt, müssen sie auf das Schmelzwasser aus
den Hochlagen warten, das erst ab Juni in die Täler fließt.
"Die
Mehrzahl der Dorfbewohner, ich würde sagen rund 80 Prozent, sind auf
das Schmelzwasser der Gletscher angewiesen, zum Trinken und Kochen,
aber auch zur Bewässerung der Felder. Einerseits fällt weniger Schnee,
andererseits werden die Sommer wärmer. Das Resultat: Die Gletscher
schmelzen rasant ab. Aber deren Schmelzwasser trifft zu spät in den
Tälern ein. Für die Aussaat im April steht nicht genug Wasser zur
Verfügung. Viele Bauern erleiden Ernteverluste."
Die
Gletscherforschung im Himalaya steckt noch in den Kinderschuhen. Erst
im vergangenen Jahr richtete die indische Regierung im
Himalaya-Städtchen Dehra Dun ein Zentrum für Gletscherforschung ein.
Dort beschäftigt sich Dr. Dwarijka Dhobal mit dem Klimawandel.
"Nach
meiner Erfahrung befinden sich fast alle Gletscher im Himalaya auf dem
Rückzug. Natürlich gibt es große Unterschiede, aber die meisten
Gletschertore, durch die das Schmelzwasser austritt, bewegen sich
zwischen fünf und zwanzig Meter pro Jahr zurück. Auch das Volumen
sinkt, die Eisschichten werden um durchschnittlich 30 cm pro Jahr
dünner. Das ist ein Riesenproblem, denn Millionen Menschen sind von dem
Schmelzwasser der Gletscher abhängig."
Weitere Teile der Sendereihe:
Holland in Not Teil 1 der Sendereihe: "Was passiert, wenn in Cancun nichts passiert" (22.11.2010)