Interview
"Bedrohung für die Demokratie"
Aktivistin
Shiva ist empört, dass sich die Staatengemeinschaft nicht auf ein
Haftungsregime für Schäden durch die Agro-Gentechnik geeinigt hat
Aktivistin
Shiva ist empört, dass sich die Staatengemeinschaft nicht auf ein
Haftungsregime für Schäden durch die Agro-Gentechnik geeinigt hat

Frau Shiva, die UN-Konferenz über biologische Sicherheit hat sich
nicht auf verbindliche Regelungen über Haftung und Wiedergutmachung bei
Schäden durch gentechnisch veränderte Organismen einigen können. Sind
Sie darüber enttäuscht?
Ich bin empört über das fehlende
Verantwortungsbewusstsein auf Seiten der Regierungen und ihrer
Hintermänner in der Industrie in Bezug auf die Sicherheit aller
Erdenbürger. Ich sehe dieses Versagen als eine große Bedrohung für die
Demokratie. Es gab dort eine wohlkalkulierte Kampagne,
sozio-ökonomische Tatbestände hätten nichts zu tun mit biologischer
Artenvielfalt. Nichts könnte der Wahrheit ferner liegen. Die
gegenwärtige Nahrungsmittelknappheit wird zum erheblichen Teil auch
durch die Monokulturen der genmanipulierten Landwirtschaft verursacht,
die die Kapazität zur Nahrungsmittelerzeugung schmälert.
Welche Botschaft bringen Sie aus Indien an den Rhein?
In
Indien spüren wir, dass das falsche Versprechen einer auf fossilen
Energiequellen beruhenden industriellen Landwirtschaft, eines genetisch
manipulierten Saatgutsystems, eines Patentmonopols auf Saatgut direkt
in ein ökologisches und menschliches Verderben führt. Die neue
Nahrungskrise ist ein direktes Resultat der Politik der vergangenen
fünf Jahre. In diesem Zeitraum haben sich allein in Indien 200 000
verschuldete Farmer das Leben genommen.
Ist die moderne Landwirtschaft am Ende?
Davon
bin ich fest überzeugt. Dieses Modell basiert auf der Annahme einer
nahezu unbegrenzten Versorgung mit Mineralöl, aus dem chemischer Dünger
und auch Pestizide gewonnen werden. Dieser Traum ist ausgeträumt. Wir
beobachten, wie hochpreisiges Öl zu hochpreisigen Nahrungsmitteln
führt. Wenn der Ölpreis weiter steigt, wird die industrielle
Landwirtschaft unrentabel. Zudem wissen wir, dass die massenweise auf
die Felder aufgebrachten Chemikalien einen nicht unerheblichen Anteil
am Ausstoß klimaschädlicher Gase haben. Wir müssen zurück zur
biologischen Artenvielfalt.
Nächste Woche findet die neunte
Vertragsstaatenkonferenz der internationalen Konvention zum Erhalt der
biologischen Artenvielfalt statt. Welche Hoffnungen verbinden Sie damit?
Ich
möchte den Delegierten sagen: Schaut her, unsere Bewegung hat eine
Alternative geschaffen, die funktioniert. Wir betreiben Bauernhöfe, die
ganz ohne fossile Stoffe auskommen und nicht zum Klimawandel beitragen.
Daher sind wir auch vom Anstieg des Ölpreises relativ abgeschottet. Und
besonders: unsere biologische Artenvielfalt produziert mehr
Lebensmittel, gesündere Lebensmittel. Die Konvention zum Schutz der
biologischen Artenvielfalt ist nun fast zwanzig Jahre alt, aber immer
noch ohne Biss. Der Hunger wächst, fossile Brennstoffe neigen sich dem
Ende zu, das Gensaatgut erfüllt seine Versprechen nicht. Ich denke, es
ist an der Zeit, dass die Delegierten die biologische Artenvielfalt als
das respektieren, was sie ist: die einzig verlässliche Basis für eine
nachhaltige Wirtschaft, die uns eine Hungerkatastrophe und eine
Klimakatastrophe vermeiden helfen kann.
Was bedeutet das Versagen der Konferenz über biologische Sicherheit?
Es
gibt zwei Faktoren, die den Schaden begrenzen helfen. Zum einen gibt es
viele Experimente, mehr Nahrungsmittel mithilfe von Artenvielfalt zu
erzeugen. Außerdem hat ein neuer UN-Bericht zur Technologie-Bewertung
in der Landwirtschaft gezeigt, dass artenreiche, ökologische
Landwirtschaft ertragreicher ist. Der Bericht kommt zum Ergebnis, dass
genmanipuliertes Saatgut seine Versprechen nicht hält. In wenigen
Wochen werden die UN in Rom über Lösungen für die neue Nahrungskrise
beraten. Und dann wird es einen weiteren Wettstreit geben: Wie wird die
Nahrung der Zukunft am besten erzeugt?
Interview: Rainer Hörig

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Dokument erstellt am 16.05.2008 um 17:44:02 Uhr
Letzte Änderung am 16.05.2008 um 20:03:06 Uhr
Erscheinungsdatum 17.05.2008

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