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Deutschlandfunk

Umwelt u. Landwirtschaft, Doris Badura

 

„Europas Agrarsubventionen treiben indische Bauern in den Ruin!“

 Interview mit dem indischen Agrarexperten Dhirendra Sharma

 

Von Rainer Hörig, Pune

 

Take 1: Dhirendra Sharma 02/01-B 500

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Zitator:

„In der indischen Kornkammer, dem Punjab mussten Tausende von Bauern die Milchwirtschaft aufgeben. Der Preis für eine gute Milchkuh fiel von zehntausend auf fünftausend Rupien. Die Ursache ist im Import dänischer Milch zu suchen. Eine einzige Lieferung führte dazu, dass indische Kühe plötzlich nur noch die Hälfte wert sind.“

 

Autor:

Indiens Bauern sind im Aufruhr. Mit Straßenblockaden und Protestmärschen demonstrieren sie gegen den Verfall der Erzeugerpreise, verursacht durch hoch subventionierte Importe. Der studierte Agrarwissenschaftler Dhirendra Sharma versteht sich als ihr Sprachrohr. Über eine von ihm geleitete Bürgerinitiative, mittels e-mail-Nachrichten und in zahlreichen Presseartikeln warnt der ehemalige Zeitungsredakteur vor den Folgen der Globalisierung für Indiens Landwirtschaft, die mehr als eine Milliarde Menschen ernährt.

 

Take 2: Dhirendra Sharma 02/01-B 500

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Zitator:

„Den Regeln der Welthandelsorganisation WTO entsprechend öffnete Indien im vergangenen Jahr seine Märkte für ausländische Milchprodukte. Die erste größere Lieferung stammte aus Dänemark und kostete ab Hafen 1400 US-Dollars pro Tonne. Dieser Preis liegt 16 Prozent unter den Produktionskosten in Indien. Der Grund: die Europäische Gemeinschaft subventioniert den Milchexport mit eintausend Dollar pro Tonne. Eigentlich hätte die dänische Milch also 2400 Dollar pro Tonne gekostet.“

 

Autor:

Indien ist der größte Milchproduzent der Welt. Die Jahresproduktion von 81 Millionen Tonnen deckt mehr als den Eigenbedarf. Indien bräuchte also gar keine Milch zu importieren, doch die Globalisierung diktiert auch die Öffnung der Agrarmärkte. Den westlichen Agrargroßmächten, die in der WTO den Ton angeben, unterstellt Sharma, sie wollten Indien als Müllkippe für ihre gigantische Überproduktion nutzen. Wie krass sich die Produktionsbedingungen in verschiedenen Teilen der Welt unterscheiden, verdeutlicht er mit einem Beispiel:

 

Take 3: Dhirendra Sharma 02/01-B 413

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Zitator :

“Die OECD-Länder zahlen zusammen Agrarsubventionen von 360 Milliarden US-Dollars pro Jahr. Das entspricht dem sechsfachen Wert aller indischen Agrarerzeugnisse. Damit sollen wir nun konkurrieren?“

 

Autor:

Jeder vierte Bauer der Welt lebt in Indien. Das riesige Land verfügt über rund 100 Millionen Hektar Ackerfläche, die von 550 Millionen Menschen bewirtschaftet wird. Zum Vergleich: In Deutschland bewirtschaften eine halbe Million Bauern eine Fläche von 18 Millionen Hektar. Rein rechnerisch ist die durchschnittliche Betriebsfläche in Deutschland also sechsunddreißig Mal größer als in Indien. Hier muss ein Hektar Ackerland eine ganze Familie ernähren. Der Einsatz von Maschinen und Chemikalien ist teuer. Viele indische Bauern wirtschaften daher in traditioneller, naturnaher Weise. Von staatlich garantierten Abnahmepreisen können die meisten nur träumen.

 

Immer noch haftet Indien der Ruf des Hungerlandes schlechthin an. Millionen von Menschen starben im vergangenen Jahrhundert während mehrerer Hungersnöte. Die Abhängigkeit von ausländischen Nahrungsmitteln machte das Land politisch erpressbar. Doch in den sechziger und siebziger Jahren führte die Grüne Revolution zu beträchtlichen Ertragssteigerungen und machte Indien von Nahrungsmitteleinfuhren unabhängig. Doch nun stößt die aus dem Westen eingeführte Wundertechnik, die auf Hybridsaatgut, künstlicher Bewässerung, auf Mineraldünger und Pestiziden beruht, an ihre Grenzen. Überall stagnieren die Erträge, der Boden ist ausgelaugt.

 

Auch heute leiden Millionen Landbewohner in Indien Hunger. Die meisten Bauern wirtschaften am Rande des Existenzminimums. Jede Missernte, jeder Preisverfall hat für sie existenzbedrohende Ausmaße. In den vergangenen Jahren schockierten Selbstmorde von Hunderten hochverschuldeter Farmer die indische Öffentlichkeit. Nach einer Missernte waren sie nicht in der Lage, die Schulden für den Kauf von Düngemitteln und Pestiziden zu begleichen und sahen keinen anderen Ausweg, als ihr Leben mit einem kräftigen Schluck Pflanzengift zu beenden. Mit zunehmender Konkurrenz durch ausländische, auf riesigen Flächen billig produzierte und darüber hinaus staatlich subventionierte Agrarerzeugnisse, werden immer mehr kleine Landwirte in den Strudel des Bankrotts gerissen. Ihnen bleibt nur die Flucht – in den Tod oder in die nächste Stadt.

 

Take 4: Dhirendra Sharma 02/01-B 482

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Zitator:

“Hier baut sich ein erschreckendes Szenario für Indiens Zukunft auf: bis zum Jahr 2010 werden zweimal so viele Menschen in die Städte strömen, wie Frankreich, Großbritannien und Deutschland zusammengenommen Einwohner haben. Diese Schätzung berücksichtigt nicht die Auswirkungen der WTO-Politik. Wenn erst billige, subventionierte Importe unsere Märkte überschwemmen, dann könnte sich die Landflucht verfünffachen. Kaum vorstellbar, welche sozialen und wirtschaftlichen Krisen auf Indien zukommen!“

 

Autor:

Sharma ist Nationalist, denn er setzt sich für indische Interessen ein, und er ist ein Grüner, der gegen die industriell betriebene Landwirtschaft, gegen Gen-Technik und Tierfabriken zu Felde zieht. Auch mit der eigenen Regierung geht er kritisch ins Gericht. Sie gebe dem Druck des Westens nach und opfere die Interessen der indischen Kleinbauern auf dem Altar der Industrialisierung. Bei den laufenden Verhandlungen in der Welthandelsorganisation WTO müsse New Delhi hart bleiben, fordert der Experte.

 

Take 5: Dhirendra Sharma 02/02-B 605

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Zitator:

„Die indische Regierung muss bei den laufenden Agrarverhandlungen eins ganz klar deutlich machen: die sich entwickelnden Länder im Süden der Erde werden ihre Handelsschranken so lange nicht abbauen, bis die Agrarsubventionen im Westen auf Null gefahren werden!“

 

Autor:

Mit seiner Forderung nach Öffnung der Agrarmärkte in den Ländern des Südens setzt der Westen die Existenz von Millionen Kleinbauern aufs Spiel. Angesichts der krassen Unterschiede in den Produktionsbedingungen ist kaum vorstellbar, dass ein indischer Subsistenz-Landwirt mit einem deutschen Techno-Bauern konkurrieren kann. Wenn die Kräfte des Marktes weltweit ungehindert walten, werden Großproduzenten die Oberhand gewinnen, die Kleinen müssen auf der Strecke bleiben. Soll die ganze Welt gezwungen werden, die chemisch gedopte Agrarwirtschaft Europas und der USA zu übernehmen? Die katastrophalen Konsequenzen eines massenhaften Bauernsterbens in den bevölkerungsreichen Ländern des Südens drohen die ganze Welt zu erschüttern.