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Umwelt & Landwirtschaft Montags - Freitag • 11:35 |
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3.12.2004
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Bhopal und die Spätfolgen
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20 Jahre nach der Giftgaskatastrophe in Zentralindien
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Von Rainer Hörig
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 Überlebende der Gas-Katastrophe demonstrieren am 2.12.2004 in Bhopal, Indien (Foto: AP)
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Kurz nach Mitternacht wachten wir von einem stechenden Geruch auf. Draußen
herrschte ein fürchterliches Geschrei, die Leute liefen wild durcheinander.
Auch wir versuchten uns durch Flucht in Sicherheit zu bringen. Aber wir wurden
ständig von Hustenanfällen gelähmt. Unsere Augen brannten wie Feuer und wir
mussten uns mehrmals übergeben. Mein Bruder, der im Haus zurückblieb, kam
noch in derselben Nacht durch das Gas um.
Vor zwanzig Jahren, in der Nacht zum 3. Dezember 1984 trieben nach einer
Explosion im Werk des amerikanischen Chemiemultis Union Carbide 40 Tonnen
hochgiftiger Gase über die schlafende Stadt Bhopal hinweg. Bäume verloren
plötzlich ihre Blätter. Kühe, Ziegen, Hunde fielen tot um. Mehr als eine
halbe Million Menschen wurden von den ätzenden Gasen verletzt, 3000 von ihnen
starben noch in derselben Nacht. Bis heute ist die Zahl der Todesopfer auf
mindestens 20.000 angestiegen. Der Name Bhopal steht für den folgenschwersten
Chemieunfall der Geschichte.
 20 Jahre nach der Giftgaskatastrophe in Bhopal
| Aus
dem verrotteten Fabrikgelände sickern weiterhin hochgiftige Chemikalien in
Erdreich und Grundwasser. Aber die indischen und amerikanischen Manager der
Firma sind bis heute nicht zur Verantwortung gezogen worden. Rund fünfhunderttausend
Opfer erhielten erst vor wenigen Jahren eine finanzielle Entschädigung. Doch
häufig reichte das Geld nicht einmal, um die Kosten der jahrelangen medizinischen
Behandlung zu decken. Auch heute noch leiden rund einhunderttausend Bürger
Bhopals an den Spätfolgen des Desasters. Der 47-jährige Zakee Mohammed etwa,
der in der Armensiedlung Jay Pee Nagar in unmittelbarer Nähe zum Tor der
Chemiefabrik lebt, verlor seinen Bruder und seinen Job:
Das Gas hat mich ruiniert. Mit meinen verätzten Lungen
kann ich nicht mehr arbeiten. Zum Überleben bin ich auf tägliche Dosen verschiedener
Medikamente angewiesen. Ohne Pillen kann ich nicht einmal mehr laufen. Ich
schäme mich, dass ich meine Familie nicht ernähren kann. Ich kann überhaupt
nichts mehr tun, ich warte nur auf das Ende.
Fünf Jahre nach der Katastrophe zahlte Union Carbide eine halbe Milliarde
Dollar an die indische Regierung. Mit dem außergerichtlichen Vergleich erkauften
die Amerikaner die Einstellung aller Strafverfahren. New Delhi übernahm damit
die alleinige Verantwortung für die Entschädigung der Opfer. Doch Korruption
und politische Eitelkeit verhinderten, dass die Opfer schnelle Hilfe erhielten.
Auf Drängen der Öffentlichkeit stellte die indische Regierung 2003 endlich
einen Auslieferungsantrag an die USA, um den ehemaligen Konzernchef Warren
Anderson in Bhopal doch noch vor Gericht stellen zu können. Die amerikanischen
Behörden lehnten den Antrag jedoch wegen technischer Mängel ab. Die Strafverfahren
gegen sechs indische Manager sind eingestellt worden. Ihre Firma Union Carbide
hat sich aus Indien zurück gezogen. Im Februar 2001 wurde sie von dem amerikanischen
Multi Dow Chemicals geschluckt. Ein amerikanisches Gericht stellte im vorigen
Jahr fest, der Dow-Konzern sei damit für die Folgen der Katastrophe von Bhopal
verantwortlich.
Von dem Chemiekonzern und der eigenen Regierung im Stich gelassen, leiden
die Opfer in Bhopal weiter. Lediglich eine Handvoll Bürgerinitiativen kämpfen
mit bemerkenswerter Ausdauer für ihre Interessen. Ihren öffentlichen Protesten
und Gerichtsklagen ist es wohl zu verdanken, dass vor dem 20. Jahrestag
der Katastrophe Bewegung in die bleierne Misere kommt.
Nach einem Fastenstreik von Aktivisten vor dem Parlamentsgebäude in
New Delhi stimmte die indische Regierung im vergangenen Juni der von einem
amerikanischen Gericht angeordneten Sanierung des Fabrikgeländes in Bhopal
zu. Wenige Tage zuvor hatte das höchste Gericht des Landes angeordnet, dass
50.000 Slumbewohner in der Nachbarschaft der Fabrik mit Trinkwasser aus Tanklastwagen
versorgt werden, damit sie nicht mehr das verseuchte Grundwasser benutzen
müssen.
Und nachdem bekannt geworden war, dass erst die Hälfte des von Union
Carbide überwiesenen Geldes an die Opfer ausbezahlt war, ordnete das oberste
Gericht ebenfalls im vergangenen Juni an, dass die Opfer eine weitere Zahlung
erhalten sollten, einschließlich der in zwanzig Jahren angelaufenen Zinsen.
Vor zwei Wochen begann die Auszahlung.
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