Umweltschutz | 21.06.2011
Windparks stoßen in Indien auf Widerstand
Das Dorf Karpud liegt fast 1000 Meter hoch in den Western-Ghats-Bergen auf einem windigen Hochplateau, rund 100 Kilometer nördlich der Megastadt Mumbai, früher Bombay. Viele der umliegenden Berge sind vom immergrünen Regenwald bedeckt. In Sichtweite liegt das Wildschutzgebiet Bhimashankar, das Pfauen, Affen und Leoparden ein Refugium bietet.
Lokale Bevölkerung wird nicht gefragt
Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Hinter dem Dorf Karpud stehen die schon fertigen Windräder.
Die Einwohner von Karpud zählen sich zum Volk der
Mahadeo-Kohli, einer Stammesgemeinschaft die zu den Nachfahren indischer
Ureinwohner, den Adivasi gehört. Die Mahadeo-Kohli betrachten den
nahen Wald als Garantie für ihr Überleben, erklärt der Dorfälteste
Ganpat Madage: "Unsere Frauen gehen täglich zum Feuerholz-Sammeln in den
Wald. Dort finden wir auch Heilkräuter, Wildfrüchte und Honig für den
Eigenbedarf und zum Verkauf."
Ganpat Magade führt uns über abgeerntete Reisfelder zur Grenze des
Wildschutzgebiets. Der hier dichte Wald zieht sich einen Hang
hinauf. Dort oben hüllen Staubwolken die Bäume ein. Auf einer neu
angelegten, ungepflasterten Straße kriechen Betonmischer und schwere
Lastwagen bergauf. An vielen Stellen liegt die Vegetation unter
Geröllhalden begraben. "Seitdem hier das Windkraftwerk gebaut wird,
können wir den Wald nicht mehr betreten", erklärt Ganpat Magade. "Die
Wachleute der Firma verweigern uns den Zutritt. Abertausende von Bäumen
sind bereits den Bauarbeiten zum Opfer gefallen!"
Gigantische Bauarbeiten
Für
die Frauen von Karpud sei der Weg zum nächsten Wald jetzt fünfmal so
weit, behauptet Ganpat Magade. Die Bewohner sorgten sich auch um die
riesigen Geröllhalden, die nun den Hang bedecken: "Am
Fuße dieses Hanges liegen unsere Reisfelder. Bald wird der Monsun
einsetzen, und hier in den Bergen regnet es sehr heftig. Wir befürchten,
dass das lose Gestein dann bergab gespült wird und unsere Felder
begräbt."
Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Waldzerstörung beim Bau der Andhra Lake Windfarm. Karpud
ist einer von drei Standorten des Andhra Lake-Windparks bei
Bhimashankar. Hier werden 142 Windkraftanlagen mit einer Gesamtkapazität
von 113 Megawatt errichtet. Die Forstbehörde gab dafür 194 Hektar
geschütztes Waldland frei. Im März 2010 begannen die Bauarbeiten. Mit
Dynamit und Bulldozern werden Zufahrtsstraßen in die Berghänge
getrieben, Fundamente für die Windräder ausgehoben. Damit
Schwertransporter die riesigen Rotoren und Generatoren an entlegene Orte
bringen können, mussten die Landstraßen verbreitert werden.
Weiterbau trotz Baustopp
Die Dorfbewohner wurden weder über das Bauvorhaben informiert noch angemessen für Schäden an Obstbäumen und Ackerland entschädigt, sagt Atul Kale. Der Journalist aus der nahegelegenen Kleinstadt Khed organisiert den Widerstand. In Kude, einem Nachbardorf von Karpud, protestierten Bauern und blockierten die Zufahrt zum Baugelände. Doch die meisten von ihnen sind Analphabeten, kennen kaum ihre Rechte. "Die Forstbehörde untersagt den Dorfbewohnern, auch nur einen einzigen Baum zu fällen," sagt Aktivist Atul Kale. "Die Windkraftfirma aber fällt gleich hunderttausende von Bäumen. Die Dorfbewohner haben verstanden, dass das Windkraftwerk ihre Lebensgrundlagen zerstört, ohne dass Sie irgendeinen Vorteil aus dem Projekt ziehen könnten. Daher sind sie wütend."
Atul Kale versucht, den Dorfbewohnern zu helfen. Aber trotz eines von
ihm im vergangenen Dezember vor Gericht erwirkten Baustopps gehen die
Bauarbeiten unvermindert weiter.
Indien setzt auf Erneuerbare Energien
Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Manche Windparks passen in die Landschaft und stoßen auf Akzeptanz.Indiens
Wirtschaft boomt. Der Energiebedarf ist riesig und steigt ständig. Der
Großteil des elektrischen Stroms wird aus heimischer Kohle gewonnen. Bei
der Nutzung erneuerbarer Energiequellen mischt Indien aber auch ganz
vorne mit. Es ist der weltweit fünftgrößte Produzent von Windenergie.
Als einer der führenden Länder des Südens hat sich Indien schon früh der Förderung erneuerbarer Energien verschrieben. Allerdings verzichten die Behörden bei derartigen Kraftwerken häufig auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung – mit oftmals schweren Folgen, wie der Fall der Andhra Lake Windfarm zeigt. Die Planungen orientieren sich häufig allein am Profitinteresse der Investoren. "Ich bin natürlich auch für umweltschonende Energiegewinnung", beteuert Atul Kale. "Aber warum muss man die Windräder ausgerechnet hier, im dichten Regenwald aufstellen? Warum baut man sie nicht dort, wo das Land sowieso brach liegt?"
Autor: Rainer Hörig
Redaktion: Gero Rueter/Marco Müller